Bericht über die Veranstaltung
Krise, Schulden, Widerstand – Eine andere Politik ist möglich!
„Beispiel Barcelona“
 
Referent: Roger Sabà Riera, Barcelona
 
Donnerstag, 13. Juni 2013, 19:30 Uhr, Nachbarschaftshaus Gostenhof, Adam-Klein-Str. 6, Nürnberg.

 Als Auslöser der Massendemonstrationen und der Platzbesetzung 2011 und als Ursache der gegenwärtigen Kämpfe in Barcelona sieht der Referent Roger Sabà Riera drei Konfliktbereiche: 

  • Ökonomische Probleme (z. B. hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, die junge Generation befürchtet, vom sozialen Fortschritt ausgeschlossen zu werden und hinter den Lebensstandard ihrer Eltern zurückzufallen).
  • Verlust des Vertrauens in die staatlichen Institutionen (z. B. Korruption, Beeinflussung der Justiz durch die herrschende Politik, der spanische Staat steht auf der Seite des (Finanz-)Kapitals).
  • Die nationale Frage (Krise der Monarchie/des Staates, Forderung nach Unabhängigkeit in vielen Regionen Spaniens, darunter auch in den katalanischen Gebieten).

Zu den Besetzern der Plaça de Catalunya gehörten Menschen aus sozialen Bewegungen, aus autonomen Bewegungen und Menschen, die bis dahin nicht politisch aktiv waren (vor allem junge Erwachsene mit akademischem Abschluss). Soziale Netzwerke waren wichtig für die Mobilisierung und für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur während der Platzbesetzung. Entscheidungen wurden basisdemokratisch gefällt, jede/r konnte in einer der Kommissionen (= inhaltlich oder logistisch arbeitenden Gruppen auf dem Platz) mitarbeiten. Innerhalb der Platzbesetzer/innen gab es unterschiedliche Ziele. Einige wollten eine zeitweilige Platzbesetzung als ein Symbol des Widerstandes, andere dagegen ein permanentes Camp auf dem Platz. Da antikapitalistische Bewegungen in Barcelona traditionell eine große Bedeutung hatten, gelang es auch auf der Plaça de Catalunya, ergänzend zu den Forderungen nach Rücknahme der sozialen Kürzungen, in den gemeinsamen Diskussionen antikapitalistische Forderungen zu entwickeln.

Nach Beendigung der Platzbesetzung wurden alternative Stadtteilversammlungen aufgebaut, die zum Teil heute noch existieren. Mittlerweile ist die Beteiligung an den Versammlungen jedoch relativ gering. Von Vorteil ist, dass die Menschen, die dort mitarbeiten, sich von den vielen Aktionen her gut kennen. Neben den Stadtteilversammlungen gibt es mehrere offene Bündnisse und Gruppen. Dazu zählen z.B. die Plataformas Mareas (u. a. „Flut der Einwohner/innen“, Bündnisse, die mittels zivilem Ungehorsam Proteste und Demonstrationen gegen Kürzungen im Gesundheitsbereich durchführen) und die PAH (Plataforma de Afectados por la Hipoteca, Gruppen, die zum Thema Zwangsräumungen und menschenwürdiges Wohnen arbeiten). Die PAH spielt derzeit (Stand: Juni 2013) eine wichtige Rolle. Sie ist die einzige Organisation, der es auch gelingt, migrantische Arbeiter/innen anzusprechen. Aktionen der PAH genießen in der Öffentlichkeit viel Sympathie, beispielsweise werden zurzeit von der PAH besetzte Häuser, die Banken gehören, nicht geräumt.

Nach der Einschätzung von Roger Sabà Riera wurden während und in Folge der Platzbesetzung politische Strukturen geschaffen, die, wenn es wie 2011 zu einer Massenbewegung gegen das herrschende System kommt, diese tragen könnten.

Im dritten und kürzesten Teil des Vortrags führte der Referent aus, welche Bedeutung innerhalb der katalanischen Gesellschaft insgesamt und insbesondere innerhalb der Linken die Forderung nach einem unabhängigen Staat hat. Sichtbar wurde dies vor allem am 11. September 2012 (Nationalfeiertag in Katalonien), als für diese Forderung über eine Million Menschen auf die Straße gingen. Der Referent stellte vor allem heraus, was eine spezifisch linke Sichtweise auf die nationale Frage ausmacht: Die linke Bewegung wendet sich gegen den repressiven spanischen Staat, aber auch gegen die katalanische Bourgeoisie. Die Forderung nach Unabhängigkeit gehört für diese Bewegung zum Klassenkampf.

In der Diskussion wurden u. a. Fragen zur Selbstorganisation und zur angewandten Basisdemokratie in den sozialen Bewegungen (etwa in den Stadteilversammlungen und in der PAH) gestellt. Nach Einschätzung von Roger Sabà Riera sind basisdemokratische Strukturen im politischen Kampf wichtig, auch wenn man nicht übersehen darf, dass es eines Lernprozesses bedarf, damit möglichst alle mitwirkenden Menschen mit solchen Strukturen adäquat umgehen können. Der Protest in Katalonien ist dezentral organisiert und nicht nur auf die Großstadt Barcelona beschränkt. Einige Fragen bezogen sich – in kritischer Form – auf die Forderung nach einem unabhängigen Katalonien. Hierzu legte der Referent dar, dass für ihn das Eintreten für die kulturelle Identität und Selbstbestimmung Kataloniens und das Eintreten für den weltweiten solidarischen Kampf alle Arbeiter/innen gegen das kapitalistische System kein Widerspruch sind.

Vortrag und Diskussion vermittelten den ca. 55 TeilnehmerInnen einen authentischen Eindruck der Bewegung in Barcelona. Dazu trugen auch Fotos der Ereignisse, die in Form eines Videos aufbereitet waren und nicht zuletzt der Vortrag in katalanischer Sprache bei. In Kauf genommen werden musste, dass für eine Vertiefung der Themen in der Diskussion relativ wenig Raum blieb.

Organisiert wurde die Veranstaltung vom Sozialforum Nürnberg in Zusammenarbeit mit attac Nürnberg. Mitveranstalter war der Kurt-Eisner-Verein / die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zum Radio Z-Interview mit Roger Sabà Riera unter dem Titel „Krise, Platzbesetzungen, Indignados - wo steht der Protest gegen die Sparpolitik in Spanien heute?“, gesendet am 25.06.2013. Oder anzuhören unter: http://www.freie-radios.net/56835.

V.i.S.d.P.: Elisabeth Ramthun, Desi, Brückenstr. 23, Nbg.